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04/2024

Immer, wenn die Sonne scheint, steigt der Aktienkurs!

Künstliche Intelligenz im Finanzwesen. Interview mit einem KI- Experten. Wo wird Künstliche Intelligenz in der Finanzbranche bereits eingesetzt? Welche Chancen sind damit verbunden und wo ist der Mensch der KI überlegen? Wir sprachen mit Professor Gerhard Wunder von der Freien Universität Berlin.

Professor Gerhard Wunder ist Experte auf dem Gebiet der Cybersicherheit und Künstlichen Intelligenz (KI). Als Leiter der Cybersecurity and Artificial Intelligence (C-AI) Gruppe an der Freien Universität Berlin hat er zahlreiche wichtige Initiativen ins Leben gerufen, darunter das Center for Trustworthy AI (ZVKI) und das 6G-Forschungs- und Innovationscluster. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen unter anderem Generative KI, Resiliente Netze, Datenschutz und Fairness.


Herr Professor Wunder, wo wird Künstliche Intelligenz im Banking heute bereits eingesetzt?
Künstliche Intelligenz wird bereits in vielen Bereichen, nicht nur im Banking, eingesetzt. Denken Sie nur an die zahlreichen Chatbots und virtuellen Assistenten, die können zum Teil bereits heute Kundenanfragen schnell und effizient bearbeiten und so den Kundenservice verbessern. Und auch im Banking gibt es bereits erste Ansätze, zum Beispiel in der Schadensprävention, wo KI bei der Erkennung von Anomalien in den Datenströmen helfen kann.


Wo sehen Sie die zukünftigen Einsatzmöglichkeiten für KI?
Grundsätzlich wird KI in vielen Bereichen Einzug halten, beispielweise, um einfache Tätigkeiten durch KI zu ersetzen, gerade durch den Einsatz von großen Sprachmodellen. Ein weiteres Einsatzgebiet ist das Personalmanagement, hier kann KI Bereiche bei der Auswahl neuer Arbeitskräfte übernehmen. Aber auch im Management wird in Zukunft künstliche Intelligenz eingesetzt werden.


Künstliche Intelligenz im Management? Wie muss man sich das vorstellen?
Wenn es zum Beispiel darum geht, komplexe Entscheidungen zu treffen, nutzte man in der Vergangenheit einen „Regelbaum“, also eine Struktur, die Regeln und Bedingungen für Entscheidungsprozesse darstellt. Der Regelbaum besteht aus verschiedenen Knoten, die miteinander verbunden sind und unterschiedliche Entscheidungspfade anzeigen. Anhand dieser Struktur konnte man entsprechende Lösungsansätze, basierend auf den gegebenen Regeln und Bedingungen, erarbeiten und vor allem auch nachvollziehen, wie in einem Handbuch. Die KI hingegen lernt aus einer unvorstellbar großen Datenmenge und kann daher viel komplexere Zusammenhänge erfassen – und so Muster erkennen und bessere Entscheidungen treffen. Aber erklären können wir sie bisher meistens nicht. Ein Problem!


Wird Künstliche Intelligenz das Banking der Zukunft verändern?
Für hochspezialisierte Finanzprodukte brauchen Sie finanzmathematische Modelle. Hier kann auch die KI in Zukunft definitiv einiges leisten. Denn die Vorteile von KI zeigen sich meist im Umfeld von großen Datenmengen. Stichworte sind hier auch Einsatzgebiete wie beispielsweise die Datenanalyse und das Thema Open Banking, also alles Anwendungen, bei denen sehr vielfältige Daten in großer Menge vorliegen und es darum geht, Muster, oder auch Anomalien, zu erkennen.
Ein weiterer Bereich, in dem KI eingesetzt werden könnte, ist der Aktienhandel. KI-Algorithmen können auch hier riesige Mengen an Daten analysieren und Muster erkennen, die menschliche Händler möglicherweise übersehen würden. Dies kann dazu beitragen, bessere Handelsentscheidungen zu treffen und die Rentabilität zu steigen. Es gibt da aber auch noch einige Themen, die noch gelöst werden müssen, besonders beim Einsatz von KI im Finanzbereich.


Haben Sie da ein Beispiel?
Ja, gerne. Bleiben wir beim Thema Aktienhandel. Wenn man hier auf die Empfehlungen einer Künstlichen Intelligenz vertrauen möchte, kann man oft nicht nachvollziehen, warum die Maschine wie entschieden hat. Das macht eine Überprüfung der Entscheidung schwierig. Weiterhin gibt es die Problematik des Halluzinierens.


Was meinen Sie mit halluzinieren?
In der Welt der KI bezieht sich Halluzination auf das Phänomen, bei dem ein neuronales Netzwerk falsche oder irrelevante Informationen generiert, zum Beispiel, weil die KI fehlende Informationen durch eigene „Ideen“ kompensiert. Vereinfacht könnte man sagen: Wenn die Künstliche Intelligenz nicht weiterweiß, erfindet und halluziniert sie halt irgend etwas. Gleichsam kann man Eingabedaten quasi unbemerkt manipulieren, was dazu führen kann, dass das neuronale Netzwerk plötzlich falsche Vorhersagen trifft. Zum Beispiel kann ein Bild von einer Katze so verändert werden, dass das Netzwerk plötzlich einen Hund erkennt, obwohl das menschliche Auge gar keinen Unterschied erkennen würde.


In Sachen Sicherheit gibt es da also noch einiges zu tun.
Ja. Und genau das ist die Herausforderung: KI so weiterzuentwickeln, dass sie nicht aus den Tritt kommt. Also bevor das System etwas Falsches antwortet, soll es lieber keine Ergebnisse liefern. Ein kontrollierter Rahmen ist also sehr wichtig! Es geht darum, dass das System sogenannte richtig-positive Ereignisse liefert.


Was verbirgt sich hinter dem Begriff „richtig-positive Ereignisse“?
In der KI wird ein "richtig-positives Ereignis" typischerweise als das Ereignis oder die Situation definiert, die von der KI als erwünscht erkannt wird. Dies kann beispielsweise bedeuten, dass die KI erfolgreich eine Anomalie erkennt, eine Transaktion als sicher einstuft oder eine Kundenanfrage effizient und genau einordnet. Das Erkennen und Zustandekommen von richtig-positiven Ereignissen ist ein wichtiger Bestandteil der Leistungsfähigkeit und Wirksamkeit von KI-Systemen, nicht nur im Finanzbereich.


Gibt es denn auch „richtig-negative Ereignisse“?
Von einem „richtig-negativen Ereignis“ sprechen wir, wenn KI eine Anomalie fälschlicherweise vermutet, eine Transaktion fälschlicherweise als unsicher einstuft oder eine Kundenanfrage falsch oder unzureichend beantwortet.


Wie können Institute sicherstellen, dass Kundendaten und Transaktionen durch KI-gestützte Technologien geschützt bleiben?
Grundsätzlich gilt es erst einmal zu verhindern, dass KI falsche Entscheidungen oder nicht nachvollziehbare Entscheidung trifft. Ein weiteres Thema ist der Schutz von Kundendaten und Transaktionen. Hier müssen die Institute sicherstellen, dass Kundendaten und Transaktionen durch KI-gestützte Technologien geschützt bleiben, indem sie entsprechende Sicherheitsmaßnahmen implementieren. Hier wird im Bereich Open Banking beispielsweise das Thema API in Zukunft eine Rolle spielen. Außerdem darf man nicht vergessen, dass auch Kriminelle mit Künstlicher Intelligenz arbeiten. Stichworte sind hier Fakes, Face-Swapping und Voice Cloning. Da kommt einiges auf Sie zu, da sollten Sie vorbereitet sein! Denken Sie an den kürzlichen DeepFake Angriff auf eine Bank in Honkong mit einer unglaublichen Schadenssumme von 20 Millionen englischen Pfund.


Eine letzte Frage: Wo ist der Mensch der künstlichen Intelligenz überlegen?
Ich nenne Ihnen ein einfaches Beispiel. Stellen Sie sich vor, die KI beobachtet, dass immer, wenn sonntags die Sonne scheint, am Montag der Aktienkurs eines Unternehmens steigt. Da besteht offenbar zwischen beiden Ereignissen eine Beziehung, aber keine Kausalität. Um diesen wichtigen Unterschied zu erkennen, braucht man menschliche Intelligenz, KI ist darin gar nicht gut.


Herr Prof. Wunder, vielen Dank für das sehr interessante Gespräch!