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06/2023

Rekordzahlen beim Sperr-Notruf 116 116: „Was ist da los, Frau Schneider?“

Fünf Fragen an Margit Schneider, Vorstandsvorsitzende und Gründungsmitglied des Sperr-Notruf 116 116 e.V. „Verlust gemerkt. Sofort gesperrt.“: Was treibt aktuell die Nachfrage nach dem Schutz vor finanziellen Schäden und digitalem Identitätsdiebstahl in die Höhe? 

 

Der Sperr-Notruf 116 116 e.V.

Der Sperr-Notruf 116 116 e.V. wurde 2002 gegründet und erhielt 2004 das Nutzungsrecht an der Kurzrufnummer 116 116 von der Bundesnetzagentur. Bei Verlust verschiedener elektronischer Medien – wie girocards, Bank- und Kreditkarten, E-Personalausweis, Online- und Telebanking, Handys oder Mitarbeiterausweisen – können Verbraucher diese über den Sperr-Notruf 116 116 sperren lassen. Die Sperrung ist wichtig, da im Verlustfall sonst sowohl für die Herausgeber:in als auch für die Verbraucher:innen finanzielle Schäden und datenschutz- oder datensicherheitsspezifische Gefahren drohen.

Man darf sie zurecht als die Mutter des zentralen Sperr-Dienstes bezeichnen. Margit Schneider war Mitinitiatorin der ersten Stunde im Jahr 2002, ist langjährige Vorstandsvorsitzende des Sperr-Notruf e.V. und zudem Direktorin Sicherheitsmanagement bei der EURO Kartensysteme GmbH.


kartensicherheit.de:
„Frau Schneider, über 1,5 Millionen Kartensperrungen im Jahr sind der aktuelle Höchststand. Wie ist diese Entwicklung aus Ihrer Sicht zu erklären?“

Margit Schneider:
„Mehr als 1,57 Millionen Sperranfragen jährlich – die meisten davon telefonisch – sind der höchste Wert, seit die Sperrvermittlung tätig ist. Vor der Pandemie, im Jahr 2019, hatten wir schon einmal knapp die 1,5 Millionen-Grenze überschritten, darüber sind wir nun weit hinaus. Zuletzt mit einer guten Viertelmillion Zuwachs gegenüber dem Vorjahr.
Hinter dieser Entwicklung kann es nur drei treibende Faktoren geben.
Erstens nimmt die Kartennutzung, insbesondere der Einsatz der girocard, im Markt stetig zu.
Zweitens wächst die Popularität des Notrufs: Aus Marktstudien wissen wir, dass die 116 116 heute bekannter ist als je zuvor. Wir konnten eine Steigerung um etwa 50 Prozent gegenüber 2017 messen. Umso mehr Menschen greifen dann auch auf die zentrale Sperrvermittlung zu. Hinter diesem Zuwachs stecken jede Menge Kommunikationsarbeit und Erfahrung.
Und der dritte Faktor ist in der Betrugskriminalität zu suchen.“


kartensicherheit.de:
„Dazu kommen wir gleich noch. Erlauben Sie zunächst die provokante Frage: Wenn die girocard durch ihre Chip-only-Technik immer als unangreifbar gelobt wird – warum brauchen wir dann überhaupt noch den Sperr-Notruf?“

Margit Schneider:
„Zunächst möchte ich klarstellen: Der Sperr-Notruf ist für diverse Medien als zentraler Dienst tätig, nicht nur für die girocard, und all diese Sperrmedien stehen für seine Existenzberechtigung.
Was nun die girocard betrifft – in diesem Bereich habe ich den Überblick – so ist ganz klar zu erkennen, dass die Betrugskriminalität von der technischen Seite schon sehr erfolgreich eingedämmt worden ist. Wesentlich erfolgreicher, als dies für die Kartenzahlung in anderen Ländern, beispielsweise USA, technisch gelungen ist. Hauptsächlich dank Chip-only-Technik haben wir das Problem der Kartenfälschungen, der Dubletten heute so gut wie vollständig besiegt. Man kann auch gar nicht oft genug betonen: Der Kartenbetrug insgesamt hat, anteilig zum gesamten Kartenzahlungsaufkommen, ein absolut niedriges Niveau – das tritt erst an der dritten Stelle hinterm Komma zutage! Betrachten wir dann die Betrugsfälle im Einzelnen, so findet der meiste Betrug mit PIN und Karte statt. Sowohl an Geldautomaten als auch mit steigender Tendenz im Handel, wo sich teilweise Tatmuster anhand der Umsätze beobachten lassen. Aber wie gelangen die Betrüger:innen in den Besitz von PIN und Karte? Die Karteninhaber:innen gehen oftmals nicht sorgsam genug damit um, führen Notizzettel mit oder geben die PIN auf andere Weise preis. Der Mensch sabotiert damit leider selbst die technischen Schutzvorkehrungen und daher werden wir den Sperr-Notruf noch lange brauchen.“


kartensicherheit.de:
„Stichwort Social Engineering: Wie stellt sich der Sperr-Notruf auf die absehbaren Herausforderungen der Zukunft ein? Und wo sehen Sie ihn in fünf Jahren?“

Margit Schneider:
„An dieser Stelle würde ich gerne sofort einen Sicherheitshinweis platzieren: Der Sperr-Notruf 116 116 wird niemals jemanden anrufen! Social Engineering hat eine gewaltige Brisanz, dieser Themenkomplex betrifft unsere gesamte Gesellschaft. Dem steht ja nicht nur unser Sperr-Notruf Verein mit seinen eher begrenzten Möglichkeiten gegenüber. Natürlich überprüfen wir zurzeit zusätzliche technische Maßnahmen, aber der Fokus muss jetzt auf der Aufklärung liegen. Dabei sind Kooperation und Solidarität gefragt, und zwar von allen Seiten. Polizei, Strafverfolgung, Verbände, Verbraucherschutz, Institute ... quasi jede:r muss zur Aufklärung beitragen. Wirklich jede:r Karteninhaber:in ist ja auch mittlerweile gefährdet, unabhängig von Alter, Bildung, Beruf oder Position, auch in unserer Paymentbranche ist niemand so ganz gefeit.
Ehrlich gesagt, sehe ich außerdem die Kund:innen bei den digitalen Medien oft im Stich gelassen. Beispielsweise ist die Produktentwicklung häufig noch nicht zu Ende gedacht. Im Notfall brauchen die Leute sofortige, schnelle Hilfe, und das funktioniert am besten über die zentrale, gut merkbare Notrufnummer. Sie sind aufgeregt bis panisch, wenn Geldbeutel, Papiere oder Smartphone weg sind – da hilft die Betreuung durch eine menschliche Stimme, ob Sprachcomputer oder echt, während man systematisch an die einzelnen Sperr-Instanzen weitergeleitet wird. Auch in fünf Jahren wird das noch gelten! Seit einer Weile wird zwar zum elektronischen Personalausweis die Integration entsprechender technischer Features diskutiert, aber dort ist man noch lange nicht so weit.“


kartensicherheit.de:
„Immer mehr Verbraucher:innen bezahlen mit dem Smartphone. Darauf ist also eine App als digitale Geldbörse installiert. Kann ich denn meine Wallet über den zentralen Notruf sperren lassen, wenn mein Handy weg ist?“

Margit Schneider:
„Leider keine Ja-Nein-Frage, so einfach ist das nicht. Fangen wir bei der Technik an: Genau genommen ist in diesem Fall ja nicht die Wallet, sondern die Zahlungskarte zu sperren, die in der Bezahl-App digital hinterlegt ist! Und daneben gibt es die SIM-Karte im Smartphone zu bedenken, vielleicht sogar auch noch eine Partner-Karte.
Relevant ist auch der marktwirtschaftliche Hintergrund: So schön vielfältig die Auswahl war, die Sie für Ihr Smartphone oder Ihre Smartwatch genossen haben, Ihre Telefonprovider:innen, Ihre Bank oder Sparkasse, Ihre Debit- oder Kreditkartenanbieter:innen – so hinderlich ist diese individuelle Vielfalt im Notfall. Daher kann unsere Zentralstelle nicht immer den einfachsten Ablauf mit einheitlich hohem Komfort garantieren, wenn Hilfesuchende um ihr aktiviertes Wallet bangen.
Wenn Sie also eine Wallet-App nutzen und das betreffende Handy verschollen ist, kommt es zunächst auf die Frage an, ob Ihre Bank oder Sparkasse dem Sperr-Notruf angegliedert ist, wie die Mehrheit der Kreditinstitute. Das lässt sich auf der Sperr-Notruf Website ganz leicht überprüfen – auf sperr-notruf.de bei „Kooperationspartner finden“.
Nehmen wir zum Beispiel an, Sie wenden sich in einem solchen Fall als Kund:in einer Sparkasse an den Sperr-Notruf. Dann sprechen Sie persönlich mit einem Agenten oder einer Agentin, die Zugriff auf Ihre Kartendaten hat und zielgenau sperren kann. Es gibt aber auch Institute, die stattdessen pauschal das Konto sperren. Möglicherweise sollten Sie beantworten können, ob Sie eine Kredit- oder Debitkarte für Ihre Wallet hinterlegt hatten. Ob es sich um eine girocard mit Co-Badge handelt oder eine reine Debitkarte von VISA oder Mastercard. Auf alle Fälle werden Sie aber beim Sperr-Notruf sicher an die Hand genommen und Schritt für Schritt durch die Sperr-Instanzen geleitet. Nimmt auch Ihr Telefonanbieter teil, ist die Sperrung Ihrer SIM-Card über unsere Zentrale ebenso machbar.“

 

kartensicherheit.de:
„Damit wir das Angebot vollständig überblicken: Zählen Sie bitte auf, was man alles über die 116 116 sperren lassen kann?“

Margit Schneider:
„Grundsätzlich können alle girocards und E-Personalausweise und die meisten Debit- und Kreditkarten, also digitale und physische, gesperrt werden. Außerdem nehmen wir fürs Online- und Telebanking im Auftrag vieler Banken und Sparkassen die Sperrweiterleitung entgegen. Ebenso für SIM-Karten und elektronische Mitarbeiterausweise von Unternehmen, die uns die Sperrvermittlung beauftragt haben.
Dieses Spektrum hat in Zeiten von Social Engineering eine Bedeutung, die wir uns vor 20 Jahren, als wir anfingen, wahrlich nicht hätten vorstellen können. Nur mit vereinten Kräften können wir den Kartenbetrug stoppen, Konten schützen und digitalen Identitätsdiebstahl unterbinden! Dafür steht die 116 116 rund um die Uhr bereit, kostenlos und gebührenfrei aus dem deutschen Festnetz. Sollte jemand nicht telefonisch kommunizieren können oder sich im Ausland aufhalten, gibt es auch dafür Lösungen.“


Wir bedanken uns für das informative Gespräch, Frau Schneider!

Für weitere Informationen besuchen Sie direkt die Website des Sperr-Notrufs 116 116.

https://www.sperr-notruf.de/
https://sperr-notruf.de/teilnehmer-finder.html