Interview mit Jochen Siegert: „Das eingefahrene Zahlungsverhalten der Kunden zu ändern dauert Jahre, nicht Monate“
Im April 2015 veröffentlichten wir einen Gastbeitrag von Jochen Siegert zum Thema „Status Mobile & Online Payment in Deutschland – Erst unterentwickelt, jetzt überfüllt“. Im unserem Interview berichtet Siegert über Veränderungen im Markt und die aktuellsten Entwicklungen.
kartensicherheit.de: Herr Siegert*, der Markt für Mobile & Online Payment verändert sich rasant. Neue Player treten auf, alte verschwinden. Was hat sich seit April 2015 in Deutschland in puncto Mobile & Online Payment getan? Was waren Ihrer Meinung nach die gravierendsten Veränderungen?
Jochen Siegert: Es sind nur zwei Verfahren neu in den Markt eingetreten: paydirekt und Payback Pay. Dagegen sind etliche Verfahren wieder ausgeschieden. Die Interchange-Reduktion im Kartenbereich hat die kommerziellen Grundlagen nicht „besser“ gemacht. Zahlungsverkehr hat chronisch niedrige Margen und ist nur rentabel, wenn man hunderte Millionen, gar Milliarden Euro abwickelt. Entsprechend scheitern viele Anbieter immer wieder an der notwendigen kritischen Masse und Skalierung.
Vieles ist technisch möglich, aber sind denn die Kundenbedürfnisse auch ausreichend berücksichtigt?
Im ePayment konnten laut den Statistiken des Einzelhandel-Institutes (EHI) auch im Jahr 2015 die vier größten Verfahren Rechnungskauf, PayPal, Lastschrift und Kreditkarte erneut ihre Marktanteile zulasten sämtlicher anderer „sonstigen“ Anbieter und Online-Zahlverfahren ausbauen.
Schaut man sich diese Fakten an, scheinen die Kunden seit Jahren keinen Bedarf an neuen Verfahren zu haben. So gesehen treffen die Anbieter von neuen Zahlverfahren die Kundenbedürfnisse ganz klar nicht. Bislang gilt also: Viele der technischen Lösungen suchen einen Markt statt umgekehrt, wie es eigentlich sein sollte.
Mobile Payment spielt in Deutschland mit Ausnahme von ePayment, initiiert durch mobile Endgeräte, keine Rolle. Diesen Tatsachen müssen sich Management und Investoren von neuen Verfahren bewusst sein. Daher sehe ich auch im Jahr 2016 keine Änderung des Trends der Vorjahre – da helfen auch nicht die teuersten Werbekampagnen einzelner Verfahren.
Wie haben sich die Anbieter und der Handel auf die Veränderungen eingestellt?
Der stationäre Handel hat mit der flächendeckenden Einführung von NFC-Terminals und der breiteren Kreditkartenakzeptanz die Grundlage für Apple Pay und Android Pay gelegt. Wir dürfen gespannt bleiben, wann diese Verfahren auch nach Deutschland kommen.
Im Onlinehandel spielen mobil-initiierte Zahlungen längst eine wesentliche Rolle. 30% der Zahlungen des deutschen Online-Handels sind durch mobile Endgeräte (Smartphones & Tablets) initiiert, bei Zalando liegt der Anteil z.B. schon bei 50%. Zahlverfahren, die ihre Prozesse immer noch nicht für mobile Endgeräte optimiert haben und keine Mobile-First Produktentwicklung betreiben, werden vermutlich eher früher als später für den Kunden irrelevant und vom Handel wegen zu hoher Abbrüche „ausgelistet“.
Sehen Sie neue Konzepte, neue Ideen, die Sie vor einem Jahr in Ihrem Gastbeitrag gefordert haben? Was wird sich Ihrer Meinung nach durchsetzen?
Apple Pay und Google’s Android Pay drängen mittlerweile auch ins Web und sind neben stationärem Handel und in-App-Payment die einzigen wirklichen Multikanal-Zahlverfahren. Sie sind tief integriert in die Endgeräte und Ökosysteme der Kunden. Durch die entsprechend einfache Nutzung ganz ohne Installation und Einrichtung, glaube ich, dass diese beiden Verfahren große Chancen haben Marktanteile von anderen Verfahren zu gewinnen, wenn sie dann nach Deutschland kommen.
Und was machen die Konkurrenten von PayPal?
Die beißen sich weiter an PayPal die Zähne aus. paydirekt als Verfahren der deutschen Banken kommt z.B. derzeit auf gerade einmal auf 0,0006% der PayPal-Akzeptanz. Auf der einen Seite steht mit PayPal eine hochprofitable Macht von 17.000 Mitarbeitern und $9,24 Mrd. Ertrag und wird dieses Jahr beim Konzern-Umsatz sogar MasterCard überholen. Auf der anderen Seite versuchen sich viel zu spät gestartete Kopien von PayPal ohne wirklich valide Argumente, warum der Kunde sein jahrelanges Zahlverhalten ändern sollte, vom „Original“ zu einem oft eher schlecht gemachten Klon.
Wie sieht es bei den Wallet-Lösungen bzw. –Angeboten aus?
Jan Hendrikx, ehemaliger Geschäftsführer der EURO Kartensysteme, sagte mir einmal: Zahlungsverkehr ist wie ein großer Ozeandampfer. Selbst wenn man den Motor abschaltet, fährt das Schiff für lange Zeit ungestört weiter. Der Markt für Wallet-Verfahren wird seit Jahren von einem Anbieter dominiert. Ich sehe derzeit keine Indikation, dass sich an dieser Dominanz in den kommenden 2-3 Jahren etwas nachhaltig ändert, zumal der Anbieter (PayPal) weiter mit voller Kraft vorausfährt.
Wie dürfte sich der Markt Ihrer Einschätzung nach weiterentwickeln? Welche Rolle könnte Apple Pay dabei spielen?
Kunden nutzen bereits heute immer weniger ihre stationären Rechner, sondern andere, vor allem mehrere unterschiedliche Endgeräte und Kanäle zum Einkaufen und somit zum Bezahlen. Diese Entwicklung wird sich noch beschleunigen. Zahlverfahren, die sich darauf einstellen können oder wie Apple Pay und Android Pay in die Ökosysteme und somit multiple Devices integriert sind, können von dieser Entwicklung stark profitieren und mit ihnen die „dahinter“ liegenden Zahlmethoden. Passiert das über Nacht? Nein, denn eingefahrenes Zahlverhalten bei den Kunden zu ändern dauert Jahre und nicht Monate.
Herr Siegert, vielen Dank für das Gespräch.
*Jochen Siegert ist Unternehmer, Speaker, Podcaster und Mentor im Fintech- und Payment-Umfeld. Er schaut zurück auf 17 Jahre Erfahrung und Führungspositionen im Zahlungsverkehr (MasterCard, PayPal, Bigpoint und KarstadtQuelleBank). Aktuell ist er Vorstand/COO der traxpay AG sowie im Advisoryboard bei Figo, FinLeap und Savedroid aktiv.