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05/2018

Peking, Payment-Apps, Prognosen. Das Experten-Interview.

Nirgendwo ist Mobile Payment so erfolgreich wie in China. Insights eines der führenden eCommerce-Experten Deutschlands.

Er gilt als einer der klügsten Köpfe der BWL und außerordentlich forschungsstark: Dr. Bernd Skiera ist Professor für Electronic Commerce an der Goethe Universität Frankfurt. Im Interview mit kartensicherheit.de gibt der Wissenschaftler detaillierte Einblicke in eine völlig andere Payment-Welt. Wo 40% der Bevölkerung im Alltag mit dem Smartphone bezahlen.

kartensicherheit.de:
Aus dem chinesischen Alltag sind Mobile Payments schon gar nicht mehr wegzudenken. Es gibt unterschiedliche Zahlungsangebote für unterschiedliche Zahlungsszenarien. Mit oder ohne Scanner, ohne Kassierer. Bitte erläutern Sie uns die Verfahren und ihre Unterschiede.

Prof. Dr. Skiera:
Nehmen wir die Szenarien, die Sie in in der Grafik aufgeführt finden – dafür gibt es verschiedene Mobile Payment Verfahren. Aus Sicht des Kunden sind alle Verfahren sehr einfach und recht ähnlich. Der Kunde öffnet für das Bezahlen auf seinem Handy die App des Mobile Payment Anbieters, z.B. Alipay oder Blue Code. Die App generiert dann einen Barcode oder einen QR-Code. Dieser Code identifiziert damit über den Server des Mobile Payment Anbieters den Nutzer.

Auf Händlerseite gibt es nun verschiedene Möglichkeiten zur Ausgestaltung des Prozesses. Unterscheiden wir zunächst zwischen Varianten mit Scanner und ohne Scanner.

Mit Scanner: Mit Start des Bezahlvorgangs gibt der Händler den fälligen Betrag in sein System ein und generiert damit einen Kaufauftrag. Bei Verwendung eines Scanners wird im nächsten Schritt mit einem handelsüblichen Warenscanner der Barcode des Nutzers aus der App gescannt. Die Daten werden nun an den Server des Mobile Payments Anbieters weitergeleitet und die Zahlung wird in real-time abgewickelt. Die Lösung kann in gängige Kassensysteme über eine API-Schnittstelle integriert werden.

Ohne Scanner: Entscheidet sich ein Händler für die Variante ohne Scanner, so ersetzt eine Smartphone App das Kassensystem. Das Prinzip ist das gleiche wie bei der Scanner-Variante, nur wird anstelle des Barcodes der QR-Code des Käufers mit der Kamera am Smartphone des Händlers gescannt. Der wesentliche Vorteil dieser Variante ist, dass keine gesonderte Hardware, außer einem Smartphone, benötigt wird. Dies ist besonders praktisch im nicht- bzw. nur temporär-stationieren Handel, wie z.B. bei der Bezahlung des Pizza-Lieferanten, am Imbissstand oder bei der Bezahlung in immer beliebter werdenden Pop-Up Stores.

Je nach Anwendungsszenario kann dabei Service-Personal, z.B. der Supermarktmitarbeiter oder die Bedienung im Restaurant, zum Einsatz kommen und den Bezahlvorgang begleiten. Bei der Variante ohne Service Personal kann der Kunde quasi durch Self-Check-Out eigenständig den Bezahlprozess durchführen. Ein Anwendungsszenario ohne Service-Personal ist z.B. die Self-Service-Kasse im Supermarkt oder das Freischalten von Ferngläsern für ein paar Minuten auf einem Aussichtsturm.
Bei der Variante ohne Service Personal und ohne Scanner sind bestimmte Waren oder Dienstleistungen bereits mit einem QR-Code und einem Preis versehen, und der Kunde bezahlt durch Scannen des QR-Codes mit seinem Smartphone. Ein typischer Anwendungsfall ist z.B. das Bezahlen bei einem Bike-Sharing Anbieter. Je nach Anbieter wird noch eine Legitimation per Fingerabdruck oder Pin benötigt.

Exemplarische Anwendungsszenarien Mobile Payment:

Scanner und Service Personal
Klassischer Supermarkt, Fast Food Restaurant

Scanner ohne Service Personal
Self-Check-Out im Supermarkt oder Möbelmarkt

Service Personal ohne Scanner
Lieferservice, Messestand, Restaurant, Fußballstadion

Kein Service Personal und kein Scanner
Eintritt im Museum, Ausleihen beim Bike-Sharing, Parkuhr, Fahrkartenautomat

 

Zahlungslauf: Bezahlvorgang mit Scanner

Ablauf:
1. Der Kunde zahlt die Rechnung an der Kasse und zeigt dem Händler den QR Code in seiner Alipay App;
2. Der Händler bestellt und scannt den QR-Code mit einem Scanner;
3. Das Terminal des Händlers sendet eine Zahlungsaufforderung an Alipay;
4. Alipay führt die Transaktion durch und sendet dem Kunden das Zahlungsergebnis innerhalb der App;
5. Alipay sendet das Zahlungsergebnis an den Händler innerhalb des Terminals.
Quelle: Alipay

kartensicherheit.de:
Wie erklären Sie sich den unglaublichen Erfolg von Alipay und WeChat Pay in China? Welche spezifischen begünstigenden Faktoren für das eCommerce in China sehen Sie?

Prof. Dr. Skiera:
Noch bis Anfang der 2010er Jahre waren große Teile Chinas unterversorgt mit Bankdienstleistungen. Es gab häufig zu wenige Bankfilialen mit langen Wartezeiten und eher teuren Angeboten. Dazu kamen undurchsichtige Finanzprodukte mit komplexen Richtlinien sowie ein nur schwach ausgeprägtes Online-Banking.
Die Mehrheit der chinesischen Bevölkerung war damit entweder von Bankdienstleistungen abgeschnitten oder unzufrieden mit ihrem Anbieter und nutzte daher kaum Angebote wie Debit- oder Kreditkarten.
Genau an dieser Stelle setzte Alipay an mit einer einfachen und günstigen Bezahllösung. In Kombination mit einem flächendeckenden 4G LTE Mobilfunknetz und einer generellen Aufgeschlossenheit der Chinesen gegenüber neuen Technologien waren das sehr günstige Rahmenbedingungen für eine Ausbreitung von Alipay.
Diese Entwicklung wurde von Seiten der chinesischen Regierung unterstützt. Der digitale Zahlungsverkehr war anfangs kaum reguliert. Die chinesischen Behörden wählten einen „Wait-and-See"-Ansatz und ließen den Anbietern Raum zum Entwickeln und Erproben ihrer neuen Technologie. Erst 2015 wurden Anforderungen erhöht, z.B. im Hinblick auf Datensicherheit oder KYC-Prüfungen. Alipay hatte dadurch gerade am Anfang die Möglichkeit, sich auf das Kernprodukt und dessen Weiterentwicklungen zu fokussieren, ohne dabei sehr hohe Investitionen zur Umsetzung von regulatorischen Anforderungen tätigen zu müssen.

Neben den externen Faktoren sind aber gerade die Geschäfts- und Produktstrategie von Alipay und WeChat Pay interessant und bisher maßgeblich für den Erfolg dieser Unternehmen gewesen. Beide verfolgen eine konsequente Ökosystem-Strategie. So gibt es heute zahlreiche Angebote neben der Bezahlfunktion. Chinesen können so fast ihr ganzes Leben über die App organisieren. Angefangen bei der Zahlung des morgendlichen Kaffees, der Auswahl des Restaurants zum Mittagessen bis hin zur Buchung von Tickets für den abendlichen Kinobesuch. Das Ganze ist kombiniert mit Social Media Funktionen wie beispielsweise Bewertungs- oder Empfehlungsfunktionen à la Yelp oder Tripadvisor. Die soziale Komponente fördert Interaktion und Kommunikation zwischen Kunden, aber auch zwischen Kunden und Händlern. Aus der Marketingforschung wissen wir, dass diese in der Regel zu einer höheren Loyalität führt.

Dabei sammelt Alipay täglich große Mengen an Daten über Nutzungsverhalten und Präferenzen seiner Nutzer. Damit können z.B. personalisierte Werbemaßnahmen gestartet und individualisierte Produktangebote gemacht werden. Im besten Fall fühlt sich der Kunde besser verstanden und die Kundenzufriedenheit steigt. Ein freiwilliger „Lock-In"-Effekt entsteht. Die angeschlossenen Händler generieren durch den gezielten Kundenkontakt höhere Verkaufszahlen und haben eine höhere Zahlungsbereitschaft für die Dienstleistungen von Alipay und WeChat Pay.

Alipay und WeChat Pay führen selbst aber regelmäßig auch immer wieder Promotions durch. So gab es zwischenzeitlich Wochen, in denen an jedem Dienstag ein Rabatt von 20% auf jede Zahlung über Alipay gewährt wurde. Zudem gibt es immer wieder Tage, an denen Händler keine Transaktionsgebühren bezahlen.

kartensicherheit.de:
Wie steht es um den Konkurrenzkampf der chinesischen Mobile Payment Apps? Gibt es andere Provider? Ist Ihnen etwas über technische Innovationen o.ä. Bestrebungen, sich von der Konkurrenz weiter abzusetzen, bekannt?

Prof. Dr. Skiera:
Der chinesische Mobile Payment Markt verteilt sich im Wesentlichen auf die beiden Anbieter Alibaba bzw. Ant Financial mit Alipay und Tencent mit WeChat bzw. WeChat Pay. Gemessen am Transaktionsvolumen in 2017 ist Alipay mit einem Marktanteil von ca. 55% Marktführer und WeChat Pay mit ca. 40% die Nummer zwei.

Erwähnenswert ist hierbei insbesondere, dass es WeChat Pay trotz des recht späten Starts (im Jahr 2014) geschafft hat, einen so beachtlichen Marktanteil zu erobern. Alipay hingegen ist seit 2009 auf dem Markt und musste somit nach Start von WeChat Pay erhebliche Marktanteile an WeChat Pay abgeben. Dabei ist das Potenzial von WeChat Pay noch nicht ausgeschöpft: Die Social Network App WeChat hatte in Q1 2017 ca. 840 Mio. aktive Nutzer, fast doppelt so viele wie Alipay.

Die restlichen 5% des Transaktionsvolumens in 2017 entfallen auf kleinere Anbieter, u.a. NFC-basierte Lösungen wie Apple Pay oder Samsung Pay. Diese Anbieter haben viele Schwierigkeiten im chinesischen Markt. Die NFC-Technologie erfordert beispielsweise neue Hardware bei Händlern und Kunden, welches eine massive Hürde für den Einstieg in den chinesischen Markt für Zahlungsdienstleistungen darstellt.

kartensicherheit.de:
Warum tun sich Ihrer Ansicht nach westliche Mobile Payment Dienste wie Google Pay, PayPal & Co. im Vergleich so schwer mit der Durchdringung? Und wie sollte dann ausgerechnet ein mobiler Bezahldienst aus China hier Fuß fassen können?

Prof. Dr. Skiera:
Die Ursachen hierfür sind sicherlich vielschichtig, und ich kann nur ausgewählte Aspekte erwähnen. Ein Punkt ist, dass wir in den westlichen Ländern eine durchaus gute Versorgung mit Bankdienstleistungen haben. Viele der täglichen Geschäfte werden mit Kredit-oder Debitkarten abgewickelt. In Nordamerika und Skandinavien ist Bargeld maximal noch für Kleinstbeträge relevant. Die bisherigen Anbieter von Mobile Payment Lösungen in den westlichen Ländern haben es aber noch nicht wirklich geschafft, den Ökosystem-Ansatz der chinesischen Anbieter zu verwirklichen. Bisher gehen die Lösungen nicht wirklich über ein reines Bezahlen am POS, als Substitut zur Kredit-oder Debitkarte, hinaus.

Darüber hinaus haben wir in der Vergangenheit einen schnelleren technologischen Fortschritt bei Alibaba gegenüber westlichen Anbietern gesehen. So haben es z.B. erst in der jüngeren Vergangenheit die Sparkassen mit Kwitt oder Paypal geschafft, Peer-to-Peer-Zahlungen mit ihrer App anzubieten. Alibaba hat dies z.B. bereits 2009 realisiert und flächendeckend auf den Markt gebracht.

In Deutschland und in sehr wenigen weiteren EU-Ländern ist das Bargeld zudem immer noch das bevorzugte Zahlungsmittel, auch wenn Untersuchungen der Bundesbank und der EZB eine rapid steigende Akzeptanz mobiler und elektronischer Zahlungsmittel zeigen, allerdings absolut betrachtet immer noch in einem niedrigen Bereich. Mit einem zunehmenden Wechsel vom klassischen Desktop-basierten eCommerce hin zum Smartphone-basierten mCommerce wird diese Akzeptanz in den nächsten Jahren sicherlich noch zunehmen. Dazu kommt das Heranwachsen der sogenannten „Digital Natives" zu zahlungskräftigen Kunden.

Allerdings beginnen westliche Anbieter erst langsam, ihre Leistungen zu bündeln und damit zu integrieren. So hat z.B. Google Pay erst kürzlich die Produkte Android Pay und Google Wallet zu Google Pay gebündelt. Alipay und WeChat Pay hingegen bauten von Anfang an auf eine einheitliche und integrierte Lösung innerhalb ihrer Ökosysteme.

Technologisch betrachtet sind die chinesischen Zahlungsanbieter den amerikanischen und europäischen Zahlungsanbietern also weit voraus. Das spricht natürlich dafür, dass sich die chinesischen Anbieter auch in Europa durchsetzen könnten, zumal Chinesen auch in Europa gerne ihre Bezahlungen mit Alipay oder WeChat Pay durchführen würden, und so ein Anreiz für Händler zum Einführen dieser beiden chinesischen Systeme besteht.

kartensicherheit.de:
Gibt es ein Stadt-Land-Gefälle bei den Nutzern – und wenn ja, warum?

Prof. Dr. Skiera:
Alipay und WeChat Pay sind in ganz China erfolgreich, ganz besonders aber im Westen Chinas, da hier auch ein Großteil der Bevölkerung lebt. Die Dienste sind weit verbreitet über alle unterschiedlichen Arten von Städten hinweg. Auch in ländlichen Gegenden haben die Anbieter große Verbreitung erfahren. Die Kunden in diesen Gebieten haben bereits früh viele Produkte online erworben, da viele Läden nicht in den ländlichen Gegenden verfügbar waren. Eine gewisse eCommerce-Affinität war damit gegeben. Durch das Fehlen von Banken war Bargeld oft nicht erhältlich und viele Händler konnten nicht auf die notwendige Infrastruktur der Banken zurückgreifen.

kartensicherheit.de:
Wie schätzen Sie die Expansionstendenzen von Alipay und WeChat Pay ein?

Prof. Dr. Skiera:
Basierend auf den Erfahrungen und dem bereits dargestellten großen Erfolg in den ländlichen Gebieten Chinas, haben Alipay und WeChat Pay insbesondere Entwicklungsländer im Fokus. In westlichen Ländern zielt Alipay hauptsächlich auf chinesische Touristen ab. So gibt es bereits erste Flughäfen (z.B. München), an denen mit Alipay bezahlt werden kann. Immer mehr Einzelhändler ziehen nach; Rossman ist hier ein großer deutscher Vorreiter. Alipay bietet den Service in Deutschland zusammen mit Wirecard an, und Alipay hat weltweit verschiedene solcher Partnerschaften geschlossen. Die Resonanz in den westlichen Ländern ist positiv, da sie bereits das Potenzial chinesischer Kunden erkannt haben. Finnland startete im vergangenen Jahr eine große Werbeaktion; es wurde eine Gruppe chinesischer Touristen auf eine Reise nach Finnland eingeladen, mit dem Versprechen, den ganzen Urlaub allein mit Alipay bezahlen zu können. Das Experiment ist gelungen und das Medienecho in China war groß.

kartensicherheit.de:
Von Orwell und Huxley bis zu Hollywood Blockbustern – Sie kennen sicherlich düstere Zukunftsvisionen von einem Leben in völliger Überwachung. Wie schätzen Sie die Welt in 10 oder 20 Jahren in Sachen eCommerce und Mobile Payment ein?

Prof. Dr. Skiera:
Eine gute Prognose für Zukunft des eCommerce für die kommenden 10 oder gar 20 Jahre ist schwer. Betrachten wir nur die technologischen Entwicklungen der letzten Jahre, so sehen wir heute Technologien, die wir vor 10 oder 20 Jahren sicherlich nicht vorhergesagt hätten. Was wir jedoch aktuell im Bereich Mobile Payment beobachten, deutet an, wohin die Reise gehen könnte. Die mittel- bzw. langfristige Zukunft des Bargelds ist auch in Deutschland ungewiss. Anbieter wie Amazon oder Saturn testen bereits erste Ladenkonzepte ohne Kassen. Viele Anbieter arbeiten z.B. an Blockchain basierten SmartContracts, welche eigenständig Zahlungen auslösen oder stoppen, und im Bereich Internet-of-things gibt es zunehmend Smart Wearables, welche grundsätzlich auch mit Payment Technologien ausgestattet werden können. Dazu kommt die Forderung vieler Ökonomen wie Kenneth Rogoff oder dem deutschen Peter Bofinger, das Bargeld abzuschaffen. Darüber hinaus zeigen die Konsumenten in den skandinavischen Ländern auch, dass das tägliche Leben auch ohne den Einsatz von Bargeld gut funktioniert.

kartensicherheit.de:
Prof. Dr. Skiera, wir bedanken uns für das Gespräch.